Kapitel 3

Auf nach Bosnien

Einige Wochen später treffen wir Petar Stefanovic wieder, den bosnischen Fahrer, der Schweizerdeutsch spricht. Er hat sich bereit erklärt, uns auf eine Tour mit seinem LKW mitzunehmen. Seit Freitagabend steht er auf einem Rastplatz in der Nähe von Nürnberg und verbringt hier die lange Ruhepause. Er hat alkoholfreies Bier aus Holland geladen und ist auf dem Rückweg nach Bosnien.

Nach zwei Tagen auf einer Raststätte komme manchmal die Depression, sagt Petar. Da frage er sich, warum er so sein Leben vergeude. Zwei Tage verordnete Einsamkeit. Derweil es sogar verboten wäre, die lange Ruhepause im LKW zu verbringen.

Die Hotels auf den Raststätten kann sich aber keiner der Fahrer leisten. Eine Nacht kostet 50 Euro oder mehr. Petar geht nie ins Hotel. «Ich kann dort nicht selbst kochen und fühle mich noch einsamer als auf der Raststätte, wo man immerhin noch andere Fahrer trifft.»

Die Gewerkschaften kämpfen dafür, dass schärfer kontrolliert wird, ob die Fahrer ihre langen Pausen illegal in der Kabine verbringen. Die Polizei in Deutschland tut es nicht, sagen die Fahrer. Die Polizei in Belgien ist schärfer. Ein einziger Polizist hat dort eine Bewegung ausgelöst. Raymond Lausberg kritisiert, dass die Fahrer schlimmer als Vieh gehalten würden. Vehement kämpft er dafür, dass die Fahrer bessere Arbeitsbedingungen erhalten.

Wenn er einen Chauffeur erwischt, der seine zweitägige Ruhepause in der Kabine verbringt, gibt es eine Busse – die aber nie der Fahrer, sondern immer die Firma zahlen muss. Die Gewerkschaften lieben Lausberg. Die Fahrer aus dem Osten hingegen meiden Belgien. Sie versuchen, das Land zu verlassen, sobald die zweitägige Ruhepause ansteht. Dann fahren sie wenn möglich nach Deutschland hinüber, weil sie wissen, dass sie dort nicht kontrolliert werden. Oder in die Schweiz, da ist es nicht verboten im Truck zu bleiben.

Manche Firmen bringen an den Wochenenden die Fahrer mit Kleinbussen in ihre eigenen Unterkünfte. Die Fahrer klagen, die Container oder Baracken seien oft dreckig. Man wisse nicht, wer vorher in den Laken genächtigt habe. Die Kabine ist hingegen ihr zweites Zuhause. In Petars Truck darf man nur einsteigen, wenn man die Schuhe auszieht. Da liegt kein Stäubchen herum.

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Der Albtraum des Fahrers

Petar verlässt morgens um 3.45 Uhr die Raststätte bei Nürnberg. Es ist noch finster. Er sagt, so schaffe er es, rechtzeitig um München herum zu kommen. Ein guter Fernfahrer kennt den Rhythmus des Berufsverkehrs von ganz Europa. Gerät er hinein, kostet es ihn viel Zeit. Staus lassen sich aber nicht immer vermeiden. Ein Unfall reicht, um eine Autobahn für Stunden lahm zu legen. Petar sagt, er brauche auch den Stau, dann könne er sich einen Kaffee machen.

Langsam hellt sich im Osten der Himmel auf. Er wird rot, orange, gelb, bis die Sonne über den Horizont gleitet. An München kommt Petar ungehindert vorbei. Vor ihm fährt ein weisser Sattelschlepper. Der Tempomat sorgt für eine ruhige Fahrt. Der Abstandshalter meldet sich, sobald Petar zu nahe aufschliesst.

Ein Auto mit Wohnwagen überholt. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sich das Gefährt nach vorne geschoben hat. Dann plötzlich zieht der Fahrer nach rechts auf Petars Spur. Der Wohnwagen touchiert beinahe den Kotflügel des LKWs. Petar bremst seinen Vierzigtönner rasant ab. Wieder ein Autofahrer, der nicht wisse, wie lange sein Wohnwagen sei, sagt Petar ruhig, als ob nichts gewesen wäre.

Das Gute am LKW ist, dass man erhöht sitzt und einen exzellenten Überblick hat. Er fahre nicht gerne mit einem normalen Auto, meint Petar, das mache ihn nervös, weil man kaum etwas sehe.

Noch mehr als unbedarfte Autofahrerinnen und Autofahrer auf der Autobahn fürchten LKW-Fahrer die Radfahrenden im Stadtverkehr.
Manche stellen sich an der Ampel rechts neben den Laster. Da kann der Fahrer sie aber nicht sehen, weil sie im toten Winkel stehen. «Horror», sagt Petar. Einen wirklich schweren Unfall hatte er noch nie. Aber er fürchtet sich davor, dass jemand zu Schaden kommt, weil er zu wenig aufgepasst hat.

Die Autobahn führt am Chiemsee vorbei. Rechts stehen die Alpen in der Morgensonne. Von hinten schiebt sich ein roter LKW an Petar vorbei. Nach drei Minuten hat er Petars Sattelzug endlich überholt. Elefantenrennen nennt sich das. «Das ist eigentlich verboten», sagt Petar. Ein LKW dürfe nicht länger als 45 Sekunden auf der Überholspur sein. «Er muss mindestens zehn Kilometer schneller fahren können, als der LKW, den er überholt, sonst muss er hinter ihm bleiben.»

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Schlimme Chefs

Die Autobahn schlängelt sich durch das Karawanken-Gebirge in Slowenien. Der Verkehr fliesst gleichmässig dahin. Petar erzählt, wie es kam, dass er heute für eine bosnische Firma fährt. Er war 14 Jahre alt, als ihn seine Eltern in die Schweiz holten.

Sie lebten in der Nähe von Zürich. Er ging zur Schule und sprach nach wenigen Monaten Dialekt. Nach der Lehre begann er, für eine grosse Speditionsfirma LKW zu fahren. Er liebte seinen Job, hatte Schweizer Freunde und eine Schweizer Freundin. Die beiden bezogen bald im Thurgau ihre erste gemeinsame Wohnung.

1999 musste er seine Aufenthaltsbewilligung verlängern. Das war ja nur eine Formalität. Doch als der Antwortbrief eintraf, brach sein unbeschwertes Leben zusammen. Im Brief stand, dass seine Aufenthaltsbewilligung leider nicht verlängert werden könne, da er ohne behördliche Genehmigung den Kanton gewechselt habe. Seine Firma vermittelte ihm einen Anwalt. Sein Chef kämpfte noch vor Gericht für ihn. Es half nichts.

Anfang 2000 musste Petar die Schweiz verlassen. Er nennt es Ausschaffung. Seit Jahren war er nicht mehr in Bosnien gewesen. Dort kämpfte er sich durch, wusch Autos, um wenigstens etwas zu verdienen. Später fuhr er für unterschiedliche Firmen Laster. Miserable Arbeitgeber habe er kennen gelernt. Einer seiner Chefs hatte zum Beispiel verlangt, dass er mit dem LKW weiterfährt, obwohl er die erlaubte Lenkzeit bereits überschritten hatte und zwingend hätte Pause machen müssen. «Sie sagen nicht, dass du den Fahrtenschreiber manipulieren sollst. Sie verlangen einfach, dass du weiterfährst. Ohne Manipulation geht das nicht.»

Petar liess sich von seinem Chef nicht unter Druck setzen. Er stellte den Laster auf einem Parkplatz ab, teilte seinem Chef mit, wo das Fahrzeug stand und kündigte.

Petar muss mit seinem LKW in Ljubljana noch in die Garage. Am Abend übernachtet er auf einem Rastplatz in Kroatien. Morgens kurz nach drei fährt er wieder los. Diesmal muss er vor dem Morgenverkehr an Zagreb vorbeikommen.

Um zehn steht er an der bosnischen Grenze. Um 13.00 Uhr ist er daheim, in Modrica bei seiner Frau Ivana und seinen Katzen.

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